Forms & Feelings (IIIa): Ästhetisierung und Quantifizierung
Georg Seeßlen notiert am 29. April unter Kleinigkeiten (29):
Vgl. dazu auch: Ästhetik III: Das Naturschöne
- Das Wesen des Kapitalismus in dieser Zeit ist es, neben den letzten Ressourcen der Natur die inneren Räume des Menschen zu kolonialisieren. Begehren und Angst, Phantasie und „Kreativität“. Um diesen Akt der internen Kolonialisierung voranzutreiben, müssen einerseits die qualitativen Elemente des Lebens, sagen wir: Glück, Liebe, Freiheit, Bildung etc. in quantitative umgewandelt werden. Denn nur durch Quantifizierung kann etwas den beiden Grundkräften des Marktes, dem Tausch und dem Wettbewerb, unterworfen werden. So kann zum Beispiel aus „Sex“ oder aus „Schönheit“ erst eine Ware werden, wenn man es quantifizieren, vergleichen, ranken, austauschen, profitabel einsetzen kann.
Das zweite ist die Ästhetisierung des Lebens. Sie hat ihre kapitalistische Geschichte im Auseinandergehen von Gebrauchs- und Tauschwert der Ware. Die Ware kann von Anbeginn an sich nicht darauf beschränken, nützlich zu sein. Sie muss immer auch „schön“ sein. Das gilt sogar und insbesondere für die schrecklichsten aller Waren, die Waffen. Die Menschen ermorden sich gegenseitig mit schönen Objekten. Sie sind so schön, dass man sie, kaum hat man modernere Mordinstrumente entwickelt, im Museum bewundern kann, neben sakralen Gegenständen und anderen Kunstwerken. Im radikal ästhetisierten Blick ist auch eine Atombombenexplosion schön.
Ästhetisierung und Quantifizierung als Voraussetzung der Verwandlung jeden Objektes, jeden Aspektes, jeder Geste und jeder Handlung in eine Ware, scheinen einander auf den ersten Blick gegensätzlich. Schließlich kann man sich doch kaum einen größeren Gegensatz vorstellen als den zwischen einem Künstler und einem Statistiker, zum Beispiel. Doch sehen wir unsere Medien an, wird einem nur umso klarer: Quantifizierung und Ästhetisierung haben sich in ein unausstehliches aber effizientes Paar zur Forcierung der inneren Landnahme gefunden.
Der Überakkumulation von Kapital im Finanzkapitalismus steht auf diese Weise eine Überakkumulation von „Kreativität“ gegenüber (denn „Ästhetisierung“ im weitesten Sinn ist die verbliebene Arbeit für die Realwirtschaft, jene Arbeit also, die man nicht beliebig rationalisieren, mechanisieren, digitalisieren und ökonomisch herabstufen kann). Und dieser Überdruck findet sich kontrolliert und organisiert in der Quantifizierung.
Vgl. dazu auch: Ästhetik III: Das Naturschöne
gebattmer - 2013/05/14 22:59
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