Erkenntnisproblem V / Archäologie XIII
Evelyn Roll (die Juan Moreno nicht ersetzen kann, aber auch richtig gut sein kann) in ihrer Kolumne am letzten Samstag zur interessanten Frage der Wahrnehmung von Alter:
"Es ist eine Frage der subjektiven Wahrnehmung, der Gewöhnung an unser allmorgendliches Spiegelbild und der grandiosen Verdrängung des eigenen Verfalls. Ich dachte eigentlich auch, dass ich mich in den letzten Jahren praktisch überhaupt gar nicht verändert habe. Bis ich mir Weihnachten die alten Fotos von meiner Abiturklasse angesehen habe."
Und. dann erzählte Georg, warum er diese Fotos noch einmal hervorgekramt hatte. Er war über Weihnachten in München bei seinen Eltern und musste dort zum Zahnarzt gehen, weil der blöde Backenzahn wieder zickte. Eine beeindruckende Praxis sei das gewesen: Wartezimmer mit eigener Multimediaabteilung, teure Materialien, edle Hölzer, moderne Skulpturen, weinroter Lack, die Türen in einem Türkisgrün, das sich nicht nur in den Lacoste-Hemden, sondern auch in der Augenfarbe der Sprechstundenhilfe spektakulär wiederholte. Der Zahnarzt, ein freundlicher, vertrauenerweckender älterer Herr mit Halbglatze und Bauch, hatte die Spritze gesetzt und Georg für ein paar Minuten allein gelassen im Behandlungszimmer. An der Wand gegenüber hing auf Palisanderholz in Silberrahmen ein Diplom: Dr. med. Dr. med. dent. Martin Engert, Master of Science Implantologie.
Martin Engert, dachte Georg, als er den Namen auf der Urkunde vor sich sah. Der Martin Engert? Das konnte doch wohl nicht wahr sein, dass dieser alte, bis auf seinen lächerlichen zauselgrauen Haarkranz komplett glatzköpfige Mann, dessen Arztkittel sich über einem beachtlichen Bauch zum Aufplatzen spannte, tatsächlich Martin Engert sein sollte, der athletische Frauenaufreißer und Basketball-Star aus Georgs Schulzeit. Unmöglich.
Als der Doppeldoktor und Implantologiemeister zurückkam ins Sprechzimmer, fragte Georg mit anästhesierter Backe vorsichtig: "Sagen Sie mal, sind Sie hier in Pasing zur Schule gegangen, aufs Karlsgymnasium?" Der Zahnarzt antwortete: "KGP. Ja, genau" "Wann haben Sie Abitur gemacht?"
„1980", antwortete der Zahnarzt, "warum fragen Sie?" "Weil Sie in meiner Klasse waren", sagte Georg. .
Der Zahnarzt schaute Georg eine Weile ungläubig an, als suche auch eroffenbar vergeblich - ein Wiedererkennungszeichen in Georgs Gesicht, und fragte: "Was haben Sie unterrichtet?"
Myrna Loy, ganz jung:

"Es ist eine Frage der subjektiven Wahrnehmung, der Gewöhnung an unser allmorgendliches Spiegelbild und der grandiosen Verdrängung des eigenen Verfalls. Ich dachte eigentlich auch, dass ich mich in den letzten Jahren praktisch überhaupt gar nicht verändert habe. Bis ich mir Weihnachten die alten Fotos von meiner Abiturklasse angesehen habe."
Und. dann erzählte Georg, warum er diese Fotos noch einmal hervorgekramt hatte. Er war über Weihnachten in München bei seinen Eltern und musste dort zum Zahnarzt gehen, weil der blöde Backenzahn wieder zickte. Eine beeindruckende Praxis sei das gewesen: Wartezimmer mit eigener Multimediaabteilung, teure Materialien, edle Hölzer, moderne Skulpturen, weinroter Lack, die Türen in einem Türkisgrün, das sich nicht nur in den Lacoste-Hemden, sondern auch in der Augenfarbe der Sprechstundenhilfe spektakulär wiederholte. Der Zahnarzt, ein freundlicher, vertrauenerweckender älterer Herr mit Halbglatze und Bauch, hatte die Spritze gesetzt und Georg für ein paar Minuten allein gelassen im Behandlungszimmer. An der Wand gegenüber hing auf Palisanderholz in Silberrahmen ein Diplom: Dr. med. Dr. med. dent. Martin Engert, Master of Science Implantologie.
Martin Engert, dachte Georg, als er den Namen auf der Urkunde vor sich sah. Der Martin Engert? Das konnte doch wohl nicht wahr sein, dass dieser alte, bis auf seinen lächerlichen zauselgrauen Haarkranz komplett glatzköpfige Mann, dessen Arztkittel sich über einem beachtlichen Bauch zum Aufplatzen spannte, tatsächlich Martin Engert sein sollte, der athletische Frauenaufreißer und Basketball-Star aus Georgs Schulzeit. Unmöglich.
Als der Doppeldoktor und Implantologiemeister zurückkam ins Sprechzimmer, fragte Georg mit anästhesierter Backe vorsichtig: "Sagen Sie mal, sind Sie hier in Pasing zur Schule gegangen, aufs Karlsgymnasium?" Der Zahnarzt antwortete: "KGP. Ja, genau" "Wann haben Sie Abitur gemacht?"
„1980", antwortete der Zahnarzt, "warum fragen Sie?" "Weil Sie in meiner Klasse waren", sagte Georg. .
Der Zahnarzt schaute Georg eine Weile ungläubig an, als suche auch eroffenbar vergeblich - ein Wiedererkennungszeichen in Georgs Gesicht, und fragte: "Was haben Sie unterrichtet?"
Myrna Loy, ganz jung:

gebattmer - 2008/01/23 18:54
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