Georg Seeßlen: "Warum schlechter Geschmack keine Lösung ist ..."
Schlechter Geschmack ist ein prekäres Instrument im ästhetischen Machtkampf. Man kann mit ihm nachhaltig die symbolischen Ordnungen stören, und einen gelungen Coup mit dieser besonderen Waffe der Kritik erkennt man daran, dass man die gerade rechten Leute damit aus der Fassung gebracht hat. Wo wären wir, wenn in der Kunst nicht immer wieder die etwas Mutigeren und manchmal die etwas Rücksichtsloseren mit dem, was die Allgemeinheit als schlechten Geschmack empfunden hätte, die jeweils gültigen Gleichungen von Moral und Zeichen durchgestrichen hätten? Im Medienschrank aufrechter Aufklärer gehört sich ein Regal mit den Schätzen des bad taste.
Schlechter Geschmack ist aber kein Wert an sich und für sich selbst höchstens so befreiend wie ein "Leckt mich alle am Arsch!" in den Wind gesprochen. Es kommt wieder einmal auf den Zusammenhang an. Und auf der anderen Seite steht die öffentliche Geste des schlechten Geschmacks immer auch in der Nähe eines symbolischen und frivolen "terroristischen Aktes". Man nimmt dabei in Kauf, Unschuldige zu verletzen, ein leeres Schlachtfeld zu hinterlassen, sogar das Subjekt der Geste selber ins (mindestens diskursive) Jenseits zu befördern. Noch in seiner Explosion bleibt der schlechte Geschmack gebunden an den Geschmack oder die Ideologie der Mehrheit. Deshalb ist es auch gar nicht so einfach, wie es möglicherweise lange schien, zu entscheiden, ob der bewusste Einsatz von schlechtem Geschmack nun eine linke oder eine rechte Geste sei. Man benutzt da gern (und ohne viel nachzudenken) das Wort "anarchistisch". Das mag als Metapher für einen ästhetischen Akt gelten, der sich nicht bloß gegen eine bestimmte, sondern gegen die Ordnung an sich richtet. Und das vermeintliche Ziel des ästhetischen Anschlags ist immer "der Spießer", ob es ein linker oder ein rechter sei (eine neue Variante hat man sich "Gutmensch" zu nennen angewöhnt). Erste Zweifel an dieser mythischen Konstruktion des schlechten Geschmacks als Mittel im ästhetischen Klassenkampf kommen uns spätestens bei Betrachtung des ewig laufenden Fernsehprogramms. Schlechter Geschmack ist hier offenkundig nicht mehr die mehr oder weniger heilsame, mehr oder weniger revolutionäre Störung, sondern ein fester Bestandteil der symbolischen Ordnung. Alles was im Fernsehen "Kult" wird und was zu den guilty pleasures des linksliberalen bürgerlichen Nachwuchses gehört, zeichnet sich durch eine gehörige Portion an schlechtem Geschmack aus: Al Bundy, Mr. Bean, Die Simpsons, Sex and the City, Die Sopranos, Harald Schmidt. Auch die Animationsserie South Park von Trey Parker und Matt Stone zählt dazu, obschon diese Verknüpfung von Pseudo-Niedlichkeit und Bösartigkeit wenigstens hierzulande nicht recht ankam. Immer geht es da um die Infiltration populärer Formate und Formen, die aggressive Umkehrung regressiver Tendenzen, und immer ist das gedacht als Antidot zur puren Geschmacklosigkeit des Mainstream-Programms, das ohne die Inseln des institutionellen bad taste längst nicht mehr zu ertragen wäre. Wenn aber schlechter Geschmack zum Teil des Programms geworden ist, wie steht es dann mit seiner politischen Wirkung.
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Schlechter Geschmack ist aber kein Wert an sich und für sich selbst höchstens so befreiend wie ein "Leckt mich alle am Arsch!" in den Wind gesprochen. Es kommt wieder einmal auf den Zusammenhang an. Und auf der anderen Seite steht die öffentliche Geste des schlechten Geschmacks immer auch in der Nähe eines symbolischen und frivolen "terroristischen Aktes". Man nimmt dabei in Kauf, Unschuldige zu verletzen, ein leeres Schlachtfeld zu hinterlassen, sogar das Subjekt der Geste selber ins (mindestens diskursive) Jenseits zu befördern. Noch in seiner Explosion bleibt der schlechte Geschmack gebunden an den Geschmack oder die Ideologie der Mehrheit. Deshalb ist es auch gar nicht so einfach, wie es möglicherweise lange schien, zu entscheiden, ob der bewusste Einsatz von schlechtem Geschmack nun eine linke oder eine rechte Geste sei. Man benutzt da gern (und ohne viel nachzudenken) das Wort "anarchistisch". Das mag als Metapher für einen ästhetischen Akt gelten, der sich nicht bloß gegen eine bestimmte, sondern gegen die Ordnung an sich richtet. Und das vermeintliche Ziel des ästhetischen Anschlags ist immer "der Spießer", ob es ein linker oder ein rechter sei (eine neue Variante hat man sich "Gutmensch" zu nennen angewöhnt). Erste Zweifel an dieser mythischen Konstruktion des schlechten Geschmacks als Mittel im ästhetischen Klassenkampf kommen uns spätestens bei Betrachtung des ewig laufenden Fernsehprogramms. Schlechter Geschmack ist hier offenkundig nicht mehr die mehr oder weniger heilsame, mehr oder weniger revolutionäre Störung, sondern ein fester Bestandteil der symbolischen Ordnung. Alles was im Fernsehen "Kult" wird und was zu den guilty pleasures des linksliberalen bürgerlichen Nachwuchses gehört, zeichnet sich durch eine gehörige Portion an schlechtem Geschmack aus: Al Bundy, Mr. Bean, Die Simpsons, Sex and the City, Die Sopranos, Harald Schmidt. Auch die Animationsserie South Park von Trey Parker und Matt Stone zählt dazu, obschon diese Verknüpfung von Pseudo-Niedlichkeit und Bösartigkeit wenigstens hierzulande nicht recht ankam. Immer geht es da um die Infiltration populärer Formate und Formen, die aggressive Umkehrung regressiver Tendenzen, und immer ist das gedacht als Antidot zur puren Geschmacklosigkeit des Mainstream-Programms, das ohne die Inseln des institutionellen bad taste längst nicht mehr zu ertragen wäre. Wenn aber schlechter Geschmack zum Teil des Programms geworden ist, wie steht es dann mit seiner politischen Wirkung.
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gebattmer - 2005/01/09 14:50
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