Wahrnehmung II : James Turrell
Umstritten ist, ob es eine reine Wahrnehmung (d.h. eine theoriefreie, ungedeutete Wahrnehmung) gibt oder ob alle Wahrnehmung bereits vorstrukturierte Sinneserfahrung von etwas als etwas ist.
Vor dem Hintergrund dieser Frage ist James Turrells Lichtinstallation im Kunstmuseum Wolfsburg interessant. Bewegt man sich in der auf einer Grundflache von 700 Quadratmetern sich erhebenden elf Meter hoch bis unter die verglaste Museumsdecke Raum-in-Raum-Konstruktion (es handelt sich um einen zweigliedrigen Hohlraum vom Typ der Ganzfeld Pieces. Zwei ineinander übergehende Räume - der sogenannte Viewing Space und der sogenannte Sensing Space -, sind beide vollkommen leer und werden - das ist neu bei diesem Werktyp - mit langsam sich änderndem Farblicht vollständig ausgeflutet) stellt sich einem die Frage, was man sieht - weil die Koordinaten im Raum fehlen - und dann die Frage, warum man nichts sieht, das die Sinneserfahrung als Wahrnehmung von etwas als etwas deuten könnte --> Perzeption. Mehr würde ich darin nicht sehen wollen: nichts Transzendentes, nichts Göttliches; - aber eine eindrucksvolle Erfahrung ...
Mehr über James Turrell bei PBS - art21
Betrachteten wir nun bisher am Kunstwerk die Seite, daß es vom Menschen gemacht sei, so haben wir jetzt zu der zweiten Bestimmung überzugehen, daß es für den Sinn des Menschen produziert und deshalb auch aus dem Sinnlichen mehr oder weniger hergenommen werde.
a) Diese Reflexion hat zu der Betrachtung Veranlassung gegeben, daß die schöne Kunst die Empfindung, und näher zwar die Empfindung, die wir uns gemäß finden — die angenehme —, zu erregen bestimmt sei. Man hat in dieser Rücksicht die Untersuchung der schönen Kunst zu einer Untersuchung der Empfindungen gemacht und gefragt, welche Empfindungen denn nun wohl durch die Kunst zu erregen seien: Furcht z. B. und Mitleid — wie diese aber angenehm sein, wie die Betrachtung eines Unglücks Befriedigung gewähren könne. Diese Richtung der Reflexion schreibt sich besonders aus Moses Mendelssohns Zeiten her, und man kann in seinen Schriften viele solcher Betrachtungen finden. Doch führte solche Untersuchung nicht weit, denn die Empfindung ist die unbestimmte dumpfe Region des Geistes; was empfunden wird, bleibt eingehüllt in der Form abstraktester einzelner Subjektivität, und deshalb sind auch die Unterschiede der Empfindung ganz abstrakte, keine Unterschiede der Sache selbst. Furcht z. B., Angst, Besorgnis, Schreck sind freilich weitere Modifikationen ein und derselben Empfindungsweise, aber teils nur quantitative Steigerungen, teils Formen, welche ihren Inhalt selbst nichts angehen, sondern demselben gleichgültig sind. Bei der Furcht z. B. ist eine Existenz vorhanden, für welche das Subjekt Interesse hat, zugleich aber das Negative nahen sieht, das diese Existenz zu zerstören droht, und nun beides, dies Interesse und jenes Negative, als widersprechende Affektion seiner Subjektivität unmittelbar in sich findet. Solche Furcht bedingt aber für sich noch keinen Gehalt, sondern kann das Verschiedenste und Entgegengesetzteste in sich aufnehmen. Die Empfindung als solche ist eine durchaus leere Form der subjektiven Affektion. Zwar kann diese Form teils in sich selbst mannigfach sein, wie Hoffnung, Schmerz, Freude, Vergnügen, teils in dieser Verschiedenheit unterschiedenen Inhalt befassen, wie es denn Rechtsgefühl, sittliches Gefühl, erhabenes religiöses Gefühl usf. gibt; aber dadurch, daß solcher Inhalt in unterschiedenen Formen des Gefühls vorhanden ist, kommt noch seine wesentliche und bestimmte Natur nicht zum Vorschein, sondern bleibt eine bloß subjektive Affektion meiner, in welcher die konkrete Sache, als in den abstraktesten Kreis zusammengezogen, verschwindet. Deshalb bleibt die Untersuchung der Empfindungen, welche die Kunst erregt oder erregen soll, ganz im Unbestimmten stehen und ist eine Betrachtung, welche gerade vom eigentlichen Inhalt und dessen konkretem Wesen und Begriff abstrahiert. Denn die Reflexion auf die Empfindung begnügt sich mit der Beobachtung der subjektiven Affektion und deren Besonderheit, statt sich in die Sache, das Kunstwerk zu versenken und zu vertiefen und darüber die bloße Subjektivität und deren Zustände fahrenzulassen. Bei der Empfindung jedoch ist gerade diese inhaltslose Subjektivität nicht nur erhalten, sondern die Hauptsache, und darum fühlen die Menschen so gern. Deshalb wird aber auch solche Betrachtung ihrer Unbestimmtheit und Leerheit wegen langweilig und durch die Aufmerksamkeit auf die kleinen subjektiven Besonderheiten widrig.
G.W.F. Hegel -
Vorlesungen über die Ästhetik
(1835-1838)
Vor dem Hintergrund dieser Frage ist James Turrells Lichtinstallation im Kunstmuseum Wolfsburg interessant. Bewegt man sich in der auf einer Grundflache von 700 Quadratmetern sich erhebenden elf Meter hoch bis unter die verglaste Museumsdecke Raum-in-Raum-Konstruktion (es handelt sich um einen zweigliedrigen Hohlraum vom Typ der Ganzfeld Pieces. Zwei ineinander übergehende Räume - der sogenannte Viewing Space und der sogenannte Sensing Space -, sind beide vollkommen leer und werden - das ist neu bei diesem Werktyp - mit langsam sich änderndem Farblicht vollständig ausgeflutet) stellt sich einem die Frage, was man sieht - weil die Koordinaten im Raum fehlen - und dann die Frage, warum man nichts sieht, das die Sinneserfahrung als Wahrnehmung von etwas als etwas deuten könnte --> Perzeption. Mehr würde ich darin nicht sehen wollen: nichts Transzendentes, nichts Göttliches; - aber eine eindrucksvolle Erfahrung ...
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Betrachteten wir nun bisher am Kunstwerk die Seite, daß es vom Menschen gemacht sei, so haben wir jetzt zu der zweiten Bestimmung überzugehen, daß es für den Sinn des Menschen produziert und deshalb auch aus dem Sinnlichen mehr oder weniger hergenommen werde.
a) Diese Reflexion hat zu der Betrachtung Veranlassung gegeben, daß die schöne Kunst die Empfindung, und näher zwar die Empfindung, die wir uns gemäß finden — die angenehme —, zu erregen bestimmt sei. Man hat in dieser Rücksicht die Untersuchung der schönen Kunst zu einer Untersuchung der Empfindungen gemacht und gefragt, welche Empfindungen denn nun wohl durch die Kunst zu erregen seien: Furcht z. B. und Mitleid — wie diese aber angenehm sein, wie die Betrachtung eines Unglücks Befriedigung gewähren könne. Diese Richtung der Reflexion schreibt sich besonders aus Moses Mendelssohns Zeiten her, und man kann in seinen Schriften viele solcher Betrachtungen finden. Doch führte solche Untersuchung nicht weit, denn die Empfindung ist die unbestimmte dumpfe Region des Geistes; was empfunden wird, bleibt eingehüllt in der Form abstraktester einzelner Subjektivität, und deshalb sind auch die Unterschiede der Empfindung ganz abstrakte, keine Unterschiede der Sache selbst. Furcht z. B., Angst, Besorgnis, Schreck sind freilich weitere Modifikationen ein und derselben Empfindungsweise, aber teils nur quantitative Steigerungen, teils Formen, welche ihren Inhalt selbst nichts angehen, sondern demselben gleichgültig sind. Bei der Furcht z. B. ist eine Existenz vorhanden, für welche das Subjekt Interesse hat, zugleich aber das Negative nahen sieht, das diese Existenz zu zerstören droht, und nun beides, dies Interesse und jenes Negative, als widersprechende Affektion seiner Subjektivität unmittelbar in sich findet. Solche Furcht bedingt aber für sich noch keinen Gehalt, sondern kann das Verschiedenste und Entgegengesetzteste in sich aufnehmen. Die Empfindung als solche ist eine durchaus leere Form der subjektiven Affektion. Zwar kann diese Form teils in sich selbst mannigfach sein, wie Hoffnung, Schmerz, Freude, Vergnügen, teils in dieser Verschiedenheit unterschiedenen Inhalt befassen, wie es denn Rechtsgefühl, sittliches Gefühl, erhabenes religiöses Gefühl usf. gibt; aber dadurch, daß solcher Inhalt in unterschiedenen Formen des Gefühls vorhanden ist, kommt noch seine wesentliche und bestimmte Natur nicht zum Vorschein, sondern bleibt eine bloß subjektive Affektion meiner, in welcher die konkrete Sache, als in den abstraktesten Kreis zusammengezogen, verschwindet. Deshalb bleibt die Untersuchung der Empfindungen, welche die Kunst erregt oder erregen soll, ganz im Unbestimmten stehen und ist eine Betrachtung, welche gerade vom eigentlichen Inhalt und dessen konkretem Wesen und Begriff abstrahiert. Denn die Reflexion auf die Empfindung begnügt sich mit der Beobachtung der subjektiven Affektion und deren Besonderheit, statt sich in die Sache, das Kunstwerk zu versenken und zu vertiefen und darüber die bloße Subjektivität und deren Zustände fahrenzulassen. Bei der Empfindung jedoch ist gerade diese inhaltslose Subjektivität nicht nur erhalten, sondern die Hauptsache, und darum fühlen die Menschen so gern. Deshalb wird aber auch solche Betrachtung ihrer Unbestimmtheit und Leerheit wegen langweilig und durch die Aufmerksamkeit auf die kleinen subjektiven Besonderheiten widrig.
G.W.F. Hegel -
Vorlesungen über die Ästhetik
(1835-1838)
Viewing and Sensing | James Turrell in Wolfsburg from TausB on Vimeo.
gebattmer - 2010/03/14 19:20
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