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Politik unterrichten

Wenn ein Millionenheer von Flüchtlingen ... (X): Entsetzen, aufregen, weitermachen

Ein sehr guter Artikel von Franz Schandl im FREITAG | Ausgabe 3615 | 03.09.2015:
    Die Peripherie dringt ins Zentrum vor... Die Krisen multiplizieren sich, und die Politik kriegt nichts mehr in den Griff. Politiker wirken wie ratlose, ja hilflose Agenten ihrer Sprüche, die sie andauernd ablassen, und die schon niemand mehr hören kann. Politik scheint abgedankt zu haben. Dafür hat man in den Schleppern das Böse ausgemacht, das es fortan zu erledigen gilt. Freilich verwechselt man da permanent Ursache und Folge... Solange Schutzsuchenden aus Kriegsgebieten keine legale Möglichkeit zur Einreise offensteht, sind sie auf Fluchthelfer angewiesen...
    Schlepper sind in diesem Spiel lediglich die letzten Erfüllungsgehilfen eines globalen Gesamtirrsinns. Ihre ökonomische Basis ist das fortschreitende Elend dieser Welt. Darauf blühen ihre Geschäfte, und sie blühen blendend. Wenn sich eine Schleusung von Syrien nach Österreich auf bis zu 12.000 Euro beläuft, dann wird daran ersichtlich, dass die Flüchtenden einerseits Hab und Gut veräußern, andererseits (was immer vergessen wird) ein kräftiger Finanztransfer nach Europa stattfindet, einmal mehr umgekehrte Entwicklungshilfe geleistet wird.

    Für viele (nicht nur) in Osteuropa ist der Menschenschmuggel eine hervorragende, wenn auch riskante Möglichkeit, an Geld zu kommen, das ansonsten der Markt für sie nie hergeben würde. Das Business richtet sich nach Angebot und Nachfrage, handelt nach marktwirtschaftlichen Kriterien ganz auf der Ebene der „westlichen Werte“. Staatliche Auflagen und Restriktionen erhöhen die Preise, während scharfe Konkurrenz die Qualität der Dienstleistung mindert...
    Entsetzen, aufregen, weitermachen – mehr fällt nicht ein. Die EU hat keine Antworten, sie hat noch nicht einmal die richtigen Fragen gestellt. Das gilt für die Nationalstaaten ebenso wie für Regionen und Kommunen. „Sollen doch die anderen“, geben sie unisono zu verstehen. Die einen wollen es nicht wahrhaben und die anderen glauben, es autoritär abwehren zu können. Beides greift daneben, es verschlimmert nur die Situation. Diese globalisierte Welt muss vielmehr als eine Welt erkannt werden. Man muss von diesem kulturalistischen und oft rassistisch aufgeladenen „Wir und Die“ (Huntington) wegkommen. Alles andere ist ein Realismus jenseits der Wirklichkeiten.

    Der Süden flieht in den Norden. Oder anders formuliert: Er marschiert ein. Die implizite Rache solcher Regionen besteht darin, nicht einfach auszubluten, sondern sich auf den Weg zu machen, dorthin, wo die Zustände halbwegs stabil erscheinen, wo Geschäft und Recht noch funktionieren...
Eine nüchterne, ernüchternde Analyse, die das Salbadern der Flüchtlingskanzlerin et al. als das nimmt, was es ist:

Marketing im Merkelianismus [Seeßlens Definition in einem meiner Beiträge von 2006: anything new under the sun?]

... besteht aus einfachen Grundzutaten: Erzeugung eines Nebels von Harmonie, egal wie erkauft, gelogen, geträumt. Darunter: Stärkung der staatlichen Gewalt, Polizei, Überwachung, Militär, Geheimdienst. Darunter: Abbau des Staates als fürsorgendes und beschützendes Instrument der Gemeinschaft, Übereignung des Geschehens an die großen Spieler des Marktes. Darunter (und da schließt sich der Kreis): Erzeugung eines neuen Wir-Gefühls, in dem die Politik des Neoliberalismus als Schicksal angesehen wird, dem gegenüber nur familiäre Wärme und gleichzeitig Härte helfen kann.


Welch vortreffliche Definition, die es erlaubt Schandls Gedanken noch etwas weiter zu führen: Offenbar ist es mit diesem Branding gelungen, die Marke Deutschland im globalisierten Standortwettbewerb so nach vorne zu bringen (u. a. in den letzten Monaten, als Griechenland und den anderen sozialdemokratisch regierten Ländern der EU demonstriert wurde, mit welchem Rezept man eine Marke in den Markt drückt!), dass sie jetzt so attraktiv ist, dass die Peripherie sich jetzt zu Fuß auf den Weg macht. Übereignung des Geschehens an die kleinen (Schlepper) und großen (Grillo) Spieler des Marktes. Darunter: Erzeugung eines neuen Wir-Gefühls, in dem die Politik des Neoliberalismus als Schicksal angesehen wird, dem gegenüber nur familiäre Wärme und gleichzeitig Härte helfen kann.
Das verinnerlichen zu lassen, ist offenbar gelungen (vgl. »Gouvernementalität«), was dann auch die neuere Verfeinerung der Marketing-Straegie im Rahmen des aktuellen Krisenmanagements erklärt: Bedient wird immer beides: Harmonie und familiäre Wärme auf der einen Seite ("Deutschland tut das, was moralisch und was rechtlich geboten ist. Und nicht mehr und nicht weniger." ... "Prinzip der Solidarität") und gleichzeitig Härte auf der anderen, wie der Staatsbürger DTLX2011, der gelernt hat, wie's gemeint ist, bei T-Online kommentiert (zur Zeit 4711 likes):
    Na klasse, auf einmal und ohne grosses Palaver soll die Verfassung geändert werden. Und das alles auf einmal. Diese Flüchtlingswelle muss kanalisiert werden. Vor allen Dingen muss es hier eine strikte Unterscheidung geben zwischen wirklich bedürftigen Kriegsflüchtlingen aus Syrien etc, und dann den Wirtschaftsflüchtlingen. Die Länder, aus denen die Wirtschaftsflüchtlinge kommen, müssten ähnlich hart angefasst werden, wie Griechenland.Was passiert aber mit den Kriegsflüchtlineg. Das sind zum Teil urstämmige Arabe mit einer strengen Kultur etc. Wie wird sich dort die Integration gestalten? Was wird sein, wenn die erste Hilfseuphorie vorbei ist? Was wird sein, wenn man merkt, es ist doch nicht alles "easy" das mit der Integration, weil es große kulturelle Unterschiede gibt? Wie wird man damit seitens der Regierung umgehen? Es wird Riesenprobleme geben!!! Dürfen wir Deutsche unsere Befürchtungen künftig auch ungeschminkt äußern, ohne als Pack von Populistenpolitikern bezeichnet zu werden?
Ein schönes Beispiel für die Widersprüchlichkeit des deutschen Dispositivs und dafür, dass die simple Unterscheidung von "Pack" und "Willkommenskulturfreund/inn/en" zu kurz greift. Möglicherweise sind ja beide Teil des Nebels, der da erzeugt wurde/wird ... Wieso bitte kann denn erwartet werden, dass von allen Werte geteilt werden, wenn für viele im Wesentlichen der Abbau des Staates als fürsorgendes und beschützendes Instrument der Gemeinschaft und die Übereignung des Geschehens an die großen Spieler des Marktes konkret erfahren wurden?!

Insofern gilt - beide Analysen zusammengenommen - was Götz Eisenberg zu den Riots der vergangenen Jahre schrieb, auch hier - :
    ... Die sozialpsychologische Situation der Gegenwart ist dadurch gekennzeichnet, dass immer mehr Menschen in eine anomische Position gedrängt werden, in eine objektive Kränkungs- und Entwertungssituation. Gleichzeitig wird die Fähigkeit, mit Kränkungen angemessen und reif umzugehen, immer weniger erworben. Genau daraus resultiert der immer häufiger zu beobachtende Ausbruch narzisstischer Wut und raptusartiger Gewalt. Die jungen Leute leben im Zustand einer permanenten Frustration: Sie werden tagein-tagaus mit Bildern des Luxus vollgestopft und gleichzeitig verwehrt man ihnen die Mittel, um die Gegenstände auf legalem Weg erwerben zu können. Gleichzeitig bildet sich das zurück, was man Frustrationstoleranz nennt.
    Meine „Vandalismus-Formel“ lautet also: Gesellschaftliche Desintegration (also Schrumpfen des Arbeitsmarktes, Mehrfach-Ausgrenzungen) plus psychische Entstrukturierung (also Über-Ich-Schwund, verbreitete Ich-Schwäche, Neigung zu primitiven Formen der Abwehr, unintegrierte, archaische Wut) = Wahrscheinlichkeit, dass raptusartige Gewaltausbrüche zunehmen...
[...]



Guter Überblick zur "Flüchtlingskrise"; differenzierte Darstellung und klare Positionen: - Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Wie Europa und Deutschland mit Flüchtlingen umgehen. Refugees Welcome!?
Die GBlog-Suche nach » von Flüchtlingen« hat 21 Resultate geliefert.

Entsetzen, aufregen, weitermachen (?): Das Bild des toten Ailan – ein medienethischer Kommentar

von Alexander Filipovic, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München beim Netzwerk Medienethik, - dem ich mich anschließe.
U.a. weil ich es ekelhaft finde, wie das tote Kind von Diekmann benutzt - um nicht zu sagen geschändet -wird:

https://www.bildblog.de/wp-content/bodrum7.jpg

https://2.bp.blogspot.com/-uNTkUtazoS0/Vejk6TR_61I/AAAAAAABXJs/cpjoLOGYG2M/s1600/11949262_10155962785295150_5574904894222324216_n.jpg
via E.O.M.S.

Das deutsche Dispositiv (III): Die Grundrechte und die Aufklärung: Immanuel Kants Physische Geographie, der Neger und der Vertriebene. - Displaced Persons

Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 hieß es:

Art. 16. (2) ... Politisch verfolgte genießen Asylrecht.
    Das alte Asylgrundrecht war ein Leuchtturm im Hafen der Verfassung. Dieser Leuchtturm wurde 1993 abgeschaltet und durch ein Teelicht ersetzt. Die Politik glaubte damals, die Flüchtlinge kämen deswegen nach Deutschland, weil es dieses große und leuchtende Asylgrundrecht gibt. Sie glaubte daher, wenn man das Grundrecht ausschaltet, schalte man das Flüchtlingsproblem aus. An die Stelle des alten Artikels 16 Absatz 2 wurde daher der Artikel 16 a Grundgesetz gesetzt, der aus dem großen Asyl ein ganz kleines machen wollte.

    Deutschland habe nun lange genug unter seiner geographischen Lage im Herzen Europas gelitten, so hieß es zu Beginn der neunziger Jahre. Man könne nicht, so hieß es damals landauf landab, "alles Leid der Welt aufnehmen" (die Flüchtlingszahlen lagen damals bei einem Fünftel der heutigen). Man solle sich, hieß es, in der Flüchtlingsfrage diese Lage Deutschlands in der Mitte Europas doch einmal zunutze machen - und die Staaten, die Deuschland wie ein Ring umgeben, zur Auffangzone für Flüchtlinge erklären.

    Das tat der neue Artikel 16 a Grundgesetz. Er erklärte, dass künftig nicht Deutschland, sondern vor allem die Nachbarstaaten für die Flüchtlinge zuständig sein sollten. Die Nachbarstaaten wurden zu sicheren Drittländern erklärt; Deutschland umgab sich mit einem Cordon sanitaire, mit einer selbstgezogenen Sicherheitszone, und setzte dieses Modell auch auf europäischer Ebene durch; in der Dublin-Verordnung wurde das festgeschrieben...
Heribert Prantl erinnert an den sog. Asylkompromiss: Flüchtlinge in Deutschland - Es gibt viel wiedergutzumachen (SZ 1. September 2015)

Fakten:
- Flüchtlinge: Der inszenierte Notstand. Von Marei Pelzer; Blätter für deutsche und internationale Politik 09/15
- Lassen Sie uns doch einmal über das Thema „Flüchtlinge“ reden. Von Jens Berger; Der Spiegelfechter


Immanuel Kant: Physische Geographie (1802)

    Zweiter Theil.
    Besondere Beobachtung dessen, was der Erdboden in sich faßt.
    Erster Abschnitt.
    Vom Menschen.

    §. 1.
    Der Unterschied der Bildung und Farbe der Menschen in den verschiedenen Erdstrichen.

    ... Man kann sagen, daß es nur in Afrika und Neuguinea wahre Neger
    07 giebt. Nicht allein die gleichsam geräucherte schwarze Farbe, sondern auch
    08 die schwarzen, wollichten Haare, das breite Gesicht, die platte Nase, die
    09 aufgeworfenen Lippen machen das Merkmal derselben aus, ingleichen
    10 plumpe und große Knochen.

    §. 2.
    Einige Merkwürdigkeiten von der schwarzen Farbe der Menschen.

    ... 1. Die Neger werden weiß geboren außer ihren Zeugungsgliedern
    30 und einem Ringe um den Nabel, die schwarz sind. Von diesen Theilen
    31 aus zieht sich die Schwärze im ersten Monate über den ganzen Körper.

    32 2. Wenn ein Neger sich verbrennt, so wird die Stelle weiß. Auch
    33 lange anhaltende Krankheiten machen die Neger ziemlich weiß; aber ein
    34 solcher durch Krankheit weiß gewordener Körper wird nach dem Tode noch
    35 viel schwärzer, als er es ehedeß war...
Vgl. Eckhard Henscheid / Immanuel Kant: Der Neger (Negerl). Zürich: Haffmans, 1988. Pappband, Fadenheftung, 174 Seiten. Nie wieder im Buchhandel erhältlich.

https://3.bp.blogspot.com/-K8z1vl6T4ts/VbygZCGlOII/AAAAAAAA1MM/k1prVZRCV0c/s640/vallotton.jpg
La blanche et la noire (1913) de Félix Vallotton


"Ich verwende das Wort sonst überhaupt nicht"

"Robert Blanco war immer ein wunderbarer Neger, der den meisten Deutschen wunderbar gefallen hat", hatte der CSU-Politiker Herrmann in der ARD-Sendung zum Thema Flüchtlinge am Montagabend gesagt - und damit umgehend für Aufregung in den sozialen Netzwerken gesorgt. Meldet SPIEGEL-Online. Was soll die Aufregung - in den sozialen Netzwerken - sonst nirgendwo?!
Wir, die wir - im Unterschied zum Moslem - durch die Aufklärung gegangen sind, wissen doch seit Kant: Die Neger werden weiß geboren außer ihren Zeugungsgliedern und einem Ringe um den Nabel, die schwarz sind. Also: Irgendwie sind wir doch alle gleich! Jedenfalls mal gewesen. So what?

Problematischer wird's da schon, wenn einer wie der Lobo bei der Illner meint, man solle die Flüchtlinge besser Vertriebene nennen. Da sagt der Herrmann (was seltsamerweise nicht solch Erregungspotenzial hat):

"Ich hoffe, Sie meinen es nicht so bös', aber es ist eine Beleidigung der Vertriebenen, der wirklich damals vor 70 Jahren Vertriebenen, die in diesen Kontext zu stellen."

Das - die Aussage und die ausbleibende Erregung daüber - ist ein schönes Beispiel für das deutsche Dispositiv: Wer zum Vertriebenen geadelt wird, bestimmen wir. Entscheidend ist der völkische Abstammungnachweis (wie der der Erika Steinbach).
Es lohnte, diesen Satz genauer zu analysieren im Hinblick auf all die üblen Konnotationen, die angespielt werden, - aber er ist mir einfach zu widerlich ...

Ich schlage i.Ü. vor, den Begriff Displaced Persons zu verwenden. Das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte (SHAEF) verstand im Zweiten Weltkrieg unter DPs „alle Zivilisten außerhalb der Grenzen ihrer Heimatstaaten“, die zu ihrem Aufenthalt in der Fremde durch Kriegseinwirkung im weitesten Sinn gekommen waren und die alliierte Hilfe brauchten, um heimzukehren oder sich in einem anderen Land ansässig zu machen.... Die alliierten Armeen rechneten 1944 mit 11,3 Millionen DPs. [wikipedia]

Die Verwendung dieses Begriffs würde die üblen Konnationen des Schmuddelbegriffs Vertriebene vermeiden und auch die Dimension des Problems deutlicher werden lassen: Nach Angaben des UNHCR befinden sich derzeit weltweit knapp 60 Millionen Menschen auf der Flucht (die i.Ü. auch hier als forcibly displaced bezeichnet werden).

»Gouvernementalität« oder die »Regierung der Menschen«: Was ist ein Dispositiv?

Ab Mitte der 70er Jahre, als sich Foucault mit dem zu beschäftigen begann, was er »Gouvernementalität« oder die »Regierung der Menschen« nannte, verwendet er sehr häufig den Begriff »Dispositiv«:
    »Das, was ich mit diesem Begriff zu bestimmen versuche,
    ist erstens eine entschieden heterogene Gesamtheit,
    bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen
    Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen,
    administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen,
    philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen,
    kurz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die
    Elemente des Dispositivs.
    Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen
    Elementen herstellen kann.

    [...] unter Dispositiv verstehe ich eine Art – sagen wir
    – Gebilde, das zu einem historisch gegebenen Zeitpunkt
    vor allem die Funktion hat, einer dringenden Anforderung
    nachzukommen. Das Dispositiv hat also eine dominante
    strategische Funktion. [...]
    Ich habe gesagt, dass das Dispositiv von einer wesentlich
    strategischen Beschaffenheit wäre, was unterstellt,
    dass es sich dabei um eine bestimmte Manipulation von
    Kräfteverhältnissen handelt, um einen rationalen und
    abgestimmten Eingriff in diese Kräfteverhältnisse, um
    sie in irgendeine Richtung zu entwickeln, um sie zu blockieren
    oder um sie zu stabilisieren, sie zu verwenden.
    Das Dispositiv ist also immer in ein Machtspiel eingeschrieben,
    doch immer auch an eine oder an mehrere
    Wissensgrenzen gebunden, die daraus hervorgehen, es
    aber genauso auch bedingen. Das eben ist das Dispositiv:
    Strategien von Kräfteverhältnissen, die Arten von Wissen
    unterstützen und von diesen unterstützt werden.«
M. Foucault, Dits et Ecrits: Schriften, Bd. III, S. 392-395;
zitiert nach Giorgio Agamben: Was ist ein Dispositiv?
Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko, 48 Seiten, Diaphanes, Berlin 2008

Aus der Verlagsankündigung:
    Die Welt, in der wir leben, präsentiert sich als ungeheure Wucherung von Dispositiven.* Im Leben des Einzelnen gibt es keinen einzigen Moment mehr, der nicht von irgendeinem Dispositiv modelliert, kontrolliert oder kontaminiert wäre...
    In seinem kurzen, programmatischen Text entwickelt Agamben eine erhebliche Erweiterung des Dispositivbegriffs, wie er insbesondere von Foucault geprägt wurde. Mit Bezug auf die eigenen Studien zur theologischen Genealogie der Ökonomie verweist er auf den Gebrauch des lateinischen dispositio durch die Kirchenväter als Übersetzung von oikonomia: als ein Ensemble von Praxen, Kenntnissen, Maßen und Institutionen, deren Ziel die Verwaltung, Leitung, Kontrolle und Ausrichtung der Gesten und Gedanken des Menschen ist.
Der Begriff scheint mir hilfreich zu sein, um besser verstehen zu können, was hier gegenwärtig abgeht. Er könnte helfen, über hilflose Verschwörungstheorien und ebenso hilflosen Antirassismus hinauszukommen.
Einen Versuch unternimmt Georg Seeßlen in seinem taz-Kommentar vom 27. 8. 2015:


Das deutsche Dispositiv

    ... Wenn man sagt, eine postdemokratische Regierung „nutze“ die Dispositive, so beschreibt man zugleich ihre Macht (regieren, ohne dass die Regierten merken oder sich erklären können, dass sie regiert werden) und ihre Ohnmacht (das Dispositiv erfasst die Regierung so sehr wie „das Volk“; keine von beiden kann zurück oder „zur Vernunft kommen“).

    An einem entscheidenden Punkt beginnen die Dispositive ihr Eigenleben. Es stimmt, dass postdemokratische Regierungen vermittels Dispositiven regieren, ebenso aber stimmt, dass die Herrschaft der Dispositive sich der postdemokratischen Regierungen bedient. Angela Merkel ist das ideale Zentrum für eine Herrschaft der Dispositive. Die Regierung Merkel surft auf den deutschen Dispositiven.

    Die Dispositive entfalten enorme Macht, aber es gibt kein einzelnes Subjekt der Macht über sie, sondern nur attraktive Vorstellungen, Begriffe und Personen (Bilder). In Dispositiven treffen sich alle Elemente einer Gesellschaft im Neoliberalismus: die Ökonomie, das Design, die Medien, die Wissenschaft, die Justiz, die Politik, die Kultur et cetera. Im Dispositiv werden jene Kräfte, die sich in einer demokratischen Gesellschaft wechselseitig kritisieren und kontrollieren sollten, zu Komplizen. Aber sie müssen es nicht zugeben. Vielleicht müssen sie es nicht einmal wissen.

    Weil ein Dispositiv etwas anderes ist als ein Diskurs, kann darin ja auch niemand belangt werden. Im Dispositiv verwandelt sich, zum Beispiel, das Restmitleid mit afrikanischen Flüchtlingen, die gerade noch mit dem Leben davongekommen sind, in blanken Hass, sobald sie da sind. Es genügen ein paar Zwischenschritte: die üblen „Schlepper“, die Ungerechtigkeit bei der „Verteilung“ der Flüchtlinge, die Vorstellung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ (als dürfte man vor dem Verhungern nicht fliehen), und schon gibt es ein Dispositiv, in dem sich Medienberichte, Regierungshandeln und „Volkes Stimme“ (beim Abfackeln von „Asylantenheimen“) „irgendwie“ zusammenfinden, nämlich zu einem Dispositiv von Abwehr, Entwürdigung und Verachtung...

    Lesenswert!
Seeßlen sieht die Gefahr, dass die Herrschaft der Dispositive zu einer eliminatorischen Gewalt werden kann. Das erste Opfer des Dispositivs ist die Vernunft. Das zweite ist die Menschlichkeit. Ein schönes Beispiel für einen Beitrag zu einem Dispositiv von Abwehr, Entwürdigung und Verachtung:
Ein Herr Herrmann, Bayerns Innenminister, bei Frau Illner:
"Ich hoffe, Sie meinen es nicht so bös', aber es ist eine Beleidigung der Vertriebenen, der wirklich damals vor 70 Jahren Vertriebenen, die in diesen Kontext zu stellen."

I.Ü. müsste man allerdings einwenden, dass die ersten Opfer eliminatorischer Gewalt immer Menschen sind (wie schon der gern zitierte Satz „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“ eigentlich idealistsches dummes Zeug ist) und so wäre zu fragen, wie zum Schutz der Menschen Vernunft, Menschlichkeit und also Diskurs gegen das hegemoniale Dispositiv in Stellung gebracht bzw. in ihre seit der Aufklärung geltenden Rechte eingesetzt werden können!

Nun ist es ja nicht so, dass das von Seeßlen beschriebene herrschende neoliberal(-protofaschistische) Dispositiv das einzige in dieser Gesellschaft virulente ist: es ist doch nicht gelungen (wenn auch weitgehend) ein Ensemble von Praxen, Kenntnissen, Maßen und Institutionendurchzusezten, deren Ziel die Verwaltung, Leitung, Kontrolle und Ausrichtung der Gesten und Gedanken des Menschen ist. Bleiben wir bei der Definition von Agamben, so müssen wir doch festhalten, dass eben dies Ensemble auch Praxen, Kenntnisse, Maße und Institutionen umfasst, die nicht im herrschenden Dispositiv aufgehen. Die dafür stehen (wollen), müssen allerdings aufpassen, dass sie sich nicht als Anständige vereinnahmen lassen: Vgl. z.B. Einen Nachmittag willkommen, Fabian Köhler, tp 29.08.2015 oder auch: Bundespräsident Joachim Gauck hat am 26. August eine Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Berlin-Wilmersdorf besucht. Er informierte sich dort über die Situation der Flüchtlinge und die Arbeit der Helfer.

[weiter zu verfolgen]

________________________________
* Interessant ist die Nähe der Formulierung zum ersten Satz in Marx' Das Kapital (Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 23, "Das Kapital", Bd. I, Erster Abschnitt, S. 49 - 98)
Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine "ungeheure Warensammlung".
Marx formuliert weiter: ... die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.
Womit also müsste die Untersuchung der ungeheuren Wucherung von Dispositiven beginnen? Gibt es so etwas wie ihre Elementarform? Deren Untersuchung Aufschluss darüber geben könnte, wie sich das Individuum regieren lässt.

Das deutsche Dispositiv (?): Pack, Vertriebene und die verunsicherte Mitte. Und 16 rechtsextreme Gefährder.

Sprachlog zum Unwort Asylkritik und zu anderen Untiefen des aktuellen Sprachgebrauchs: Pack, Vertriebene und die verunsicherte Mitte.
Notwendige begriffliche Klärungen.

Jan Böhmermann
zum zum Unwort Asylkritik




+ Ausschnitt aus der BPK vom 28. August 2015: Die Zahl der "rechtsextremen Gefährder" in Deutschland ist seit März um 33% gestiegen. Von 12 auf 16 Personen. Zum Vergleich: Es soll ca. 280 "islamistische Gefährder" im Land geben.




Nachtrag bzw. Bezug zu oben
: »Gouvernementalität« oder die »Regierung der Menschen«: Was ist ein Dispositiv?
Der Herr Dr. Dimroth ist ja kein Übeltäter; er beantwortet korrekt die Fragen, die ihm gestellt werden. Und doch fügen sich seine Antworten in ein Dispositiv ein:
    a. Es ist eine heterogene Gesamtheit, die potentiell alles
    Erdenkliche, sei es sprachlich oder nichtsprachlich, einschließt:
    Diskurse, Institutionen, Gebäude, Gesetze, polizeiliche
    Maßnahmen, philosophische Lehrsätze usw.
    Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen
    diesen Elementen herstellen kann.
    b. Das Dispositiv hat immer eine konkrete strategische
    Funktion und ist immer in ein Machtverhältnis eingeschrieben.
    c. Als solches geht es aus einer Verschränkung von
    Macht- und Wissensverhältnissen hervor.

Fumologie (I): TTIP-Transparency at the European Commission

https://corporateeurope.org/sites/default/files/14pageredaction.jpg

Earlier this week, the European Commission 'released' very heavily redacted documents (see PDFs below) concerning their contacts with the tobacco industry on EU trade negotiations, including the ongoing EU-Japan and EU-US trade talks (TTIP). In all four documents (correspondence with and minutes of meetings with tobacco lobbyists) virtually all the content is removed (blacked out) including the names of all tobacco lobbyists and Commission officials involved. In a 14-page letter from British American Tobacco, for instance, less then 5% of the text is visible (a few fairly meaningless sentences about introductory and closing remarks ). In a one-page summary of a meeting with Philip Morris even the date of the meeting is removed and there is no mention of which trade negotiations were discussed. The Commission describes this as "partial access".
Corporate Europe Observatory - Exposing the power of corporate lobbying in the EU

Dazu sehr schön: Tilo Jung hat nachgefragt: Wer von der Bundesregierung hat Einblick bei TTIP? - Ausschnitt aus der BPK vom 19. August 2015


Jeremy Corbyn - The Most Dangerous Man in Britain


via E.O.M.S.

Der journalistische Komplexitätsreduzierer
Stefan Kornelius, Alpha- Mann der Süddeutschen Zeitung, hat wieder zugeschlagen. Es muss ihn furchtbar ärgern, dass offenbar andere, als eben nur seine eigenen Vereinfachungen, durchaus was zählen. Unter der Titelüberschrift Stunde der Großmäuler- Populisten in der Politik “, - ich nehme an, für die Kopfzeilen kann er nichts, auch wenn er verantwortlich ist -, warnt er vor Persönlichkeiten, die er aktuell für schreckliche Vereinfacher hält.
Es werden von ihm Yanis Varoufakis (Syriza und Grieche), Jeremy Corbyn (Labour und Brite) und Donald Trump (Republikaner und US-Amerikaner) namentlich genannt und gemeinsam an den medialen Marterpfahl gebunden...

Ein Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied Columbus, - sprachlich/zeichensetzungsmäßig etwas verunglückt, aber lesenswert.

Die anomische Herrschaft der Rackets und der verwilderte Leviathan (XVIII): Das radikal Böse

Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder? Warum töten ehrbare Familienväter Frauen und Kinder? Warum verweigerten so wenige den Befehl, obwohl es ihnen freigestellt war?

Wie konnten systematische Erschießungen jüdischer Zivilisten durch deutsche Einsatzgruppen in Osteuropa möglich sein? Das preisgekrönte Nonfiction-Drama von Stefan Ruzowitzky sucht die Ursache des Bösen in einer stilistisch innovativen Herangehensweise.

Der vergessene Holocaust: Rund zwei Millionen jüdische Zivilisten sind von den sogenannten Einsatzgruppen und Polizeibataillonen ab 1941 ermordet worden. Dies geschah am helllichten Tag, öffentlich, zum Teil vor Zuschauern, mit Gewehren und Pistolen, von Angesicht zu Angesicht.

Bis heute verbinden die meisten Menschen mit dem Holocaust vor allem Gaskammern und Konzentrationslager, die grauenhaften "Neuerungen" der Nazimörder. Dass dem ein konventioneller, aber um nichts weniger grausamer Genozid vorangegangen war, mit unglaublichen zwei Millionen Opfern, ist kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Ein Grund für die geringe Bekanntheit dieser Verbrechen war die Gründlichkeit der Mörder. In dem kleinen Städtchen Bibrka, das Stefan Ruzowitzky und sein Team als einen beispielhaften Ort besuchten, sagte der ehemalige Bürgermeister auf die Frage, wie viele Juden von den Nazis ermordet worden seien: "Genau so viele, wie laut Aufzeichnungen hier gelebt hatten." Keine Überlebenden, keine Zeugen, niemand der der Opfer gedenkt.


Das radikal Böse
Dokumentarfilm von Stefan Ruzowitzky, Deutschland 2012
Länge: 93 Minuten
3Sat Mediathek



Vgl. auch: Stephen Fry - The power of words in Nazi Germany

Wenn ein Millionenheer von Flüchtlingen ... (IX): Ἱκέτιδες - Die Schutzflehenden und die Schutzbefohlenen. Aufgrund der besonderen Situation und des Sommerreiseverkehrs muss mit längeren Wartezeiten gerechnet werden.

https://images.zeit.de/politik/ausland/2015-08/fluechtlinge-mazedonien/fluechtlinge-mazedonien-540x304.jpg
Mazedonien - griechische Grernze, 21 August 2015 - trueten.de

Aktuelle Hinweise des Auswärtigen Amtes
Am 20.08.2015 wurde für Teile der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (EJR Mazedonien) der Ausnahmezustand ausgerufen. Betroffen sind im Süden die Gebiete an der Grenze zu Griechenland und im Norden die Gebiete an der Grenze zu Serbien. Die mazedonische Regierung setzt militärische Kräfte ein, um den Flüchtlingsstrom entlang der sogenannten grünen Grenze zu Griechenland und am Bahnhof Gevgelija zu regulieren.
Die regulären Grenzübergänge und der normale Reiseverkehr sind nach Auskunft der Grenzbehörden hiervon nicht betroffen. Aufgrund der besonderen Situation und des Sommerreiseverkehrs muss jedoch mit längeren Wartezeiten gerechnet werden.

[Auswärtiges Amt: Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien: Reise- und Sicherheitshinweise]

„Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da“, sagt der Chor in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen. Obwohl sie in jüngster Zeit überall präsent sind, die Bilder von Flüchtlingsmengen, die sich auf Booten drängen und die Festung Europa zu erobern suchen, oder von aufbegehrenden Asylbewerbern in deutschen Städten, die auf öffentlichen Plätzen in den Hungerstreik treten; Stimmen haben diese Menschen selten. Anders in Jelineks Text: Hier meldet sich ein Chor aus Flüchtlingen und Asylsuchenden in einer lautstarken Litanei zu Wort und wird doch ungehört bleiben von den Angerufenen. Geschrieben als Reaktion auf jüngste Asylproteste in Wien, wo eine Gruppe von Flüchtlingen die Votivkirche besetzte, und später durch Zusatztexte zur Flüchtlingssituation auf Lampedusa erweitert, überführt Elfriede Jelinek in Die Schutzbefohlenen das Tagespolitische ins uralte Menschheitsdrama von Flucht und Abweisung: Die nur puzzleartig aufscheinenden aktuellen Ereignisse verweben sich mit anderen Texten und Diskursen, unter anderem mit Die Schutzflehenden des Aischylos. Aus den Schutzflehenden in der ältesten bekannten griechischen Tragödie werden aber vor dem Hintergrund von aufgeklärter westlicher Welt und vermeintlich allgemein gültigen humanistischen Werten die Schutzbefohlenen: also diejenigen, denen man verpflichtet ist, Schutz zu geben. Und es wird die Verweigerung dieses Schutzes nicht weniger als zum Verrat am Menschenrechtsgedanken selbst. ...

Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen
Mit Jonas Minthe, Matthias Haase, Bettina Lieder, Christoph Jöde, Janina Sachau
Regie: Leonhard Koppelmann

BR/ORF 2014 | Länge: 79'42 | Hörspiel Pool Download Empfohlen!



- Vorboten einer neuzeitlichen Völkerwanderung. Peter Vonnahme, tp 21.08.2015
- Die GBlog-Suche nach » von Flüchtlingen« hat 21 Resultate geliefert.

Archäologie (CDXXXII): 22. August 1927 / 1992 / 2015 - Imageschäden. Zur Frage nach Diskurshoheit aka/vs kultureller Hegemonie

1. In der Nacht vom 22. auf den 23. August 1927 wurden im Staatsgefängnis von Charlestown, Massachusetts die beiden aus Italien in die USA eingewanderten Arbeiter Ferdinando „Nicola“ Sacco und Bartolomeo Vanzetti, die sich der anarchistischen Arbeiterbewegung angeschlossen hatten, hingerichtet. (via trueten.de)
    „Ich habe nicht nur mein ganzes Leben lang kein wirkliches Verbrechen begangen, wohl einige Sünden, aber keine Verbrechen, sondern auch das Verbrechen bekämpft, das die offizielle Moral und das offizielle Gesetz billigen und heiligen: Die Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Wenn es einen Grund gibt, warum Sie mich in wenigen Minuten vernichten können, dann ist dies der Grund und kein anderer.“
    Bartolomeo Vanzetti


Vgl. Erich Mühsam: Staatsräson. Ein Denkmal für Sacco und Vanzetti
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978.
Erstdruck: Berlin (Gilde freiheitlicher Bücherfreunde) 1928. Uraufführung im April 1929 im »Novemberstudio«, Berlin.


2. Vom 22. bis zum 26. August 1992 griffen mehrere hundert junge Rechtsradikale die Flüchtlingsunterkunft und ein von vietnamesischen VertragsarbeiterInnen bewohntes Haus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen an. Unterstützt wurde der Mob von über tausend "ganz normalen" Deutschen, die Polizei griff kaum ein. Es handelte sich um die massivsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Der von Mark Saunders und Siobhan Cleary produzierte Dokumentarfilm „The truth lies in Rostock“ dokumentiert die Ereignisse. Er entstand 1993 unter maßgeblicher Beteiligung von Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Geschehnisse im attackierten Wohnheim befanden. Deshalb zeichnet sich die Produktion nicht nur durch einen authentischen Charakter aus, sondern versteht sich auch Jahre danach als schonungslose Kritik an einer Grundstimmung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die Pogrome gegen Migranten oder einfach nur „anders aussehende“ überhaupt erst möglich macht. Nicht umsonst sorgte der Film auch in der Linken für eine heiße Debatte um die Frage, in wieweit die rassistischen Übergriffe mit der „Wiedervereinigung“ Deutschlands und dem darauf folgenden nationalistischen Taumel zu tun hatten.
(trueten.de)




3. 22.08.2015, Heidenau (Sachsen)




"Das ist nicht unser Sachsen"

Dann geht doch! Hass, Extremismus und Abschottung in Sachsen: Ist es Zeit für einen Säxit? Ein ZEIT-Kommentar von Stefan Schirmer

Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) erklärte, dass das für Sachsen keine gute Reklame sei:
"Hasstiraden wie jetzt wieder in Heidenau vor der Ankunft der Flüchtlinge sind abscheulich und schaden dem Ansehen von Sachsen. Ausländerfeindliche Aktionen dieser Art schrecken nicht nur Flüchtlinge ab, sondern auch Wissenschaftler und Künstler. Soweit denken aber offenbar die Hetzer und Krawallmacher nicht."

Das ist erstaunlich, dass Hetzer und Krawallmacher nicht soweit denken, dass ihre Aktionen auch Wissenschaftler und Künstler abschrecken! Wenn ich Frau Dr. Stanges Äußerung richtig verstehe, ist das das eigentliche Problem. Der zweite Satz präzisiert die Aussage des ersten, der bereits den möglichen Schaden, den das Ansehen Sachsens nehmen könnte (und nicht den, den die Flüchtlinge nehmen könnten) ins Zentrum rückt, dahingehend, dass das Abschrecken von Flüchtlingen im Hinblick auf das Ansehen von Sachsen nicht das zentrale Problem ist, sondern eher das des Nicht-Weiterdenkens, weil dadurch Wissenschaftler und Künstler abgechreckt werden. Womit offenbar nicht flüchtige Wissenschaftler und Künstler gemeint sind; sonst wären die ja unter dem Oberbegriff Flüchtlinge schon mitgemeint.... - Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Stange war von 1981 bis 1988 Mitglied der SED, ist seit 1998 Mitglied der SPD und war von 1997 bis 2005 Bundesvorsitzende der GEW.

Update 24.08.:
Stange heute auch im Deutschlandfunk: Wissenschaftsstandort Sachsen - "Enormer Imageschaden"

Inzwischen hat sich auch ihr Chef, der Tillich zu Wort gemeldet:
"Mich erschüttern die Ereignisse zutiefst. Das ist Menschenhass mit erschreckender Gewalt gegen Polizisten und gegen Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen. Wir lassen uns das nicht bieten, wir werden mit aller Macht dagegen vorgehen. Das ist nicht unser Sachsen. Hier verstößt eine Minderheit brutal gegen Werte und Gesetze Deutschlands."

Auch das eine interessante Äußerung, insofern als zuerst die Polizisten genannt werden, wenn es um die geht, gegen die sich die Gewalt richtet (was zwar faktisch korrekt ist, aber dennoch das Ziel der Gewalt verschiebt), und vor allem deshalb, weil mit dem Einschub Das ist nicht unser Sachsen vor der Feststellung, dass hier gegen Werte und Gesetze verstoßen wird, eine völkische Definition von nicht-abweichendem Verhalten eingezogen wird, die die eingemeinden soll, die nicht gegen Werte und Gesetze verstoßen, weil sie Sachsen sind, und die Minderheit derer ausschließt, die gegen Werte und Gesetze verstößt. Das kann man ja so sagen, wenn man meint, den Sachsen in Schutz nehmen zu müssen, - das Problem ist nur, dass man damit den Verstoß gegen Gesetze hinter der Abweichung vom Sachsentum plaziert und so auf der völkischen Argumentationsschiene derer landet, die Das ist nicht unser Sachsen bereits anders besetzt haben. Oder habe ich da schon wieder etwas falsch verstanden?

Die Strategie der neuen Rechten heißt Diskurshoheit, - so heute Morgen in einer Rezension von NDRinfo (zu "Gefährliche Bürger" von Liane Bednarz und Christoph Giesa) . Sicherlich ein interessantes Buch, - niedlich ist da, wie der Autor zum Begriff Diskurshoheit zitiert wird:
"Das kommt ursprünglich von einem Kommunistenführer aus Italien, Anfang des 20. Jahrhunderts. (...) Da geht es darum, bevor man eine Revolution machen kann, das Gedankengut in eine Gesellschaft einsickern zu lassen, Diskurse zu dominieren (...). Also, die wollen gezielt Leute, die sich vielleicht gar nicht als rechts empfinden würden (...), dazu bringen (...) menschenfeindliche Impulse zu verbreiten."

So kann man Gramscis Begriff kultureller Hegemonie natürlich auch verwursten, aber die Frage ist, wie weit ein Begriff die Analyse tragen kann und ob nicht Diskurshoheit im Vergleich zu kultureller Hegemonie zu kurz springt. - Es ist immerhin ein gewisser Niveauverlust zu konstatieren, zB im Vergleich zu
Wolfgang Fritz Haug : Gramsci und die Politik des Kulturellen
Auf deutsch zuerst in: Das Argument 167, 30. Jg., 1988, H. 1, 32-48; überarb. Fassung in: LAKS (Hg.), Kulturarbeit und Ästhetik, Pforzheim 1992, 62-80.

Wise Man Says

"Es gibt so viele Arschloch-Typen wie es menschliche Funktionen, Tätigkeiten und Interessengebiete gibt. Und auf jedem Gebiet kann das Verhältnis von AQ zu IQ ein anderes sein. Kein noch so kopfdenkerisches Verhalten bei einem Thema bietet Gewähr dafür, dass nicht schon beim nächsten der Arschdenk mit voller Wucht einsetzt." Charles Lewinsky, Der A-Quotient

Wise Man Says II

"The illusion of freedom will continue as long as it's profitable to continue the illusion. At the point where the illusion becomes too expensive to maintain, they will just take down the scenery, they will pull back the curtains, they will move the tables and chairs out of the way and you will see the brick wall at the back of the theater." Frank Zappa

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